Vorwort - Community Building - Strategien für den Aufbau erfolgreicher Web-Communities
Mit der Einführung des Internets kam auch ein neuer Modebegriff auf: Communities. Communities im Internet gelten als eine neue Strategie für Unternehmen, um Kunden zu binden. »Community« kann man am besten mit »virtuelle Gemeinschaft« übersetzen. Benutzt man die deutsche Wendung, nimmt man allerdings viel von dem Hype aus dem Begriff heraus und beschreibt einfach eine Notwendigkeit in der Neuen Wirtschaft. Gemeinschaften sind eine der ältesten Institutionen der Menschheit. Sie sind daher weder neu noch modisch, sondern eine der Grundvoraussetzungen für eine funktionierende Wirtschaft.
Obwohl also der Begriff »Community« nichts Neues zu bieten scheint, hat das Internet seine Bedeutung dennoch erweitert. Früher war eine Gemeinschaft eine Gruppe von Menschen, die im selben Land, in derselben Region oder am selben Ort gelebt haben. Eine Gemeinschaft kann auch enger definiert werden als eine Gruppe von Menschen, die zusammenleben oder gemeinsame Interessen haben. Durch das Internet fällt die geographische Bindung plötzlich völlig weg. Es ist möglich, weltumspannende virtuelle Gemeinschaften aufzubauen. Und es ist nicht nur möglich, sondern auch sehr einfach und sehr kostengünstig realisierbar.
Die Konsequenz, die viele Unternehmen aus dieser Tatsache zogen, war eine globale Strategie, mit der die jeweilige Zielgruppe weltweit angesprochen werden sollte. Besonders amerikanische Firmen versuchten, mittels einer einzigen amerikanischen Strategie eine internationale Community über alle Länder der Welt hinweg anzusprechen. Dem war jedoch nur sehr mäßiger Erfolg beschieden. Das Problem war, dass man zwar potenziell alle Mitglieder einer bestimmten virtuellen Gemeinschaft ansprechen konnte, z.B. alle Harry-Potter-Fans, diese Gemeinschaft jedoch in sich sehr heterogen aufgebaut ist. Nicht nur, dass die Harry-Potter-Fans keine gemeinsame Sprache sprechen, sie haben auch sehr unterschiedliche Gewohnheiten und Gebräuche.
Große Firmen, die global agieren möchten, haben daher zunehmend das Problem, dass sie nicht genau wissen, was ihre Fan-Gemeinde denn eigentlich charakterisiert. Mittels Software-Tools wird nun versucht, das Wissen über die einzelnen Kunden zu sammeln und zu interpretieren, um besser und individueller auf die Wünsche und Bedürfnisse des Einzelnen in einer Community einzugehen. Gerade Start-ups einerseits und Großunternehmen andererseits tun sich hierbei am schwersten – die einen wegen des anfänglichen Fehlens eines Kundenstamms, die anderen wegen dessen Umfangs.
Erfolgreichen Communities gelingt es, eine emotionale und loyale Bindung des Kunden an das Unternehmen zu fördern und Vertrauen und Nähe zum Anbieter, seinen Produkten und Dienstleistungen zu schaffen. Der Kunde fühlt sich geborgen. Communities schaffen dadurch Orientierung im Chaos des Internets.
Kleine Händler und Firmen sind bei der Kundenbindung typischerweise erfolgreicher, weil sie einen überschaubaren, bekannten Kundenstamm haben und sich wirklich individuell um die einzelnen Kunden kümmern können. Diese Orientierung am einzelnen Kunden versucht man nun im Internet nachzuvollziehen. Das Wissen über die Kunden, das der kleine Einzelhändler im Kopf hat, versucht man im größeren Kontext des Internets strukturiert in einer Datenbank abzulegen und beim nächsten Besuch des Kunden auf der Website sinnvoll einzusetzen. Nur dadurch ist es wirklich möglich, eine große Menge von Kunden zufriedenstellend zu bedienen.
Amazon ist einer der Vorreiter auf diesem Gebiet gewesen. Durch Beobachtungdes Kundenverhaltens auf seiner Site versucht Amazon, ein paar Voraussagen über die Wünsche der Kunden zu treffen, davon ausgehend, dass diejenigen Kunden, die ein bestimmtes Produkt kaufen, ähnliche Präferenzen haben. Das bedeutet ganz banal, dass z.B. ein Kunde, der ein Buch über Pferde kauft, vermutlich ein Pferdeliebhaber ist, dem man am besten weitere Pferdebücher anbietet. Darüberhinaus versucht Amazon, dem Pferdebücher-Kunden die neue CD von Madonna anzubieten, weil ein anderer Pferdebücher-Kunde diese CD ebenfalls gekauft hat. Das funktioniert allerdings nur, solange der Kunde Bücher ausschließlich für sich selbst kauft. Mein Profil z.B. kann Amazon getrost löschen, denn ich kaufe nicht nur für mich ein, sondern auch für meine Frau und viele Geschenke für unsere Familie und Freunde. Damit kann Amazon nicht mehr genau voraussagen, was mir gefallen könnte. Mit ein wenig intelligenterer Software könnte man aber eine individuelle Waren- und Servicewelt speziell für mich, Daniel Amor, aufsetzen, die nicht nur Vorschläge für mich selbst macht, sondern auch an die Geburtstage meiner Familie und meiner Freunde erinnert und auch genau weiß, was diese bei den letzten Gelegenheiten von mir geschenkt bekommen haben.
Doch wie an diese zusätzlichen persönlichen Informationen kommen? Amazon kann sie nicht selbst herausfinden, sondern wäre auf zusätzliche Eingaben des Kunden angewiesen. Dieser ist aber meistens nicht bereit, zusätzliche Angaben zu machen, solange sie nur Zeit kosten und ihm erst einmal keinen weiteren Nutzen versprechen. Außerdem ist der Kunde natürlich auch wegen des Datenschutzes besorgt, besonders der diesbezüglich sensible Europäer. Wer weiß, was die wohl mit diesen persönlichen Informationen anstellen? Gerade bei Amazon.com in den USA muss man vorsichtig sein, da die Firma erst kürzlich ihre Datenschutzrichtlinien zu Ungunsten des Verbrauchers geändert hat. Die gesammelten Daten können bei Amazon.com jederzeit an Dritte übermittelt werden. Benutzer der europäischen Amazon-Webseiten in Großbritannien, Frankreich und Deutschland brauchen sich allerdings keine Sorgen zu machen, da das EU-Recht sie vor solchem Missbrauch wirksam schützt.
Zu den grundlegenden Funktionen einer Community gehört der Meinungsaustausch in Form von Online-Chats und Newsgroups. Möchte man nun also eine neue Web-Community auf die Beine stellen, sollte man zunächst auch diese Funktionen anbieten. Allerdings gibt es dabei eine Sache zu beachten: Leere Newsgroups und verwaiste Chat-Räume sind nicht geeignet, um neue Mitglieder für eine Community zu gewinnen. Steht man am Anfang, muss man als erstes dafür sorgen, dass man eine kritische Masse an Teilnehmern zusammen bekommt. Es ist wie im Supermarkt: Drei Schlangen vor den Kassen und es öffnet eine vierte – da dauert es oft eine Weile, bis sich der erste Kunde aus einer der Schlangen löst, um an die vierte Kasse zu gehen. Geht aber einer, gehen plötzlich viele.
Zwischen Nordamerika, Südamerika, Europa und Asien gibt es keine grundlegenden Unterschiede bei der Konzipierung und dem Aufbau von Web-Communities. In jedem Land der Welt ist das Prinzip einer Gemeinschaft ähnlich. Dennoch gibt es Unterschiede bei der Ausgestaltung dieser virtuellen Gemeinschaften. Auf diese Unterschiede muss man eingehen, sie bestimmen nicht nur über den Erfolg der Community, sondern auch über den Erfolg des Geschäftsmodells, das dahinter steht. Nur in den seltensten Fällen werden Internet-Communities zum reinen Selbstzweck gegründet. In den meisten Fällen dienen sie dazu, Produkte oder Dienstleistungen zu verkaufen. Dabei muss der Community-Builder die länderspezifischen Gegebenheiten berücksichtigen. Während in den USA der Individualist als Mitglied einer Community angesprochen wird, sollte man in Japan eher versuchen, die Gruppe als Ganzes anzusprechen. Dies klingt zwar simpel, hat aber weitreichende Folgen für das Marketing. Während One-to-One-Marketing in den USA und zum Teil in Europa durchaus erfolgreich ist, muss man in Japan und anderen asiatischen Ländern stärker auf Community-Marketing setzen, da sich die Communities mehr als Kollektiv verstehen. Während also in Europa ein und dasselbe Produkt stark konfigurierbar sein sollte, um es den individuellen Kundenwünschen anzupassen, muss ein Hersteller in den am Kollektiv orientierten Kulturen darauf achten, dass er mit dem Grundprodukt möglichst viele Bedürfnisse einer ganzen Gruppe erfüllen kann.
In Europa gibt es, ausgeprägter als in den USA, eine zusätzliche Sprach- und Kulturkomponente. So muss man als Unternehmen in Spanien anders mit Communities umgehen als in Norwegen. Das liegt einfach an den unterschiedlichen Arten der Kommunikation und den unterschiedlich entwickelten Technologiestandards. Während in Nordeuropa die Durchdringung der Haushalte mit Computern weit fortgeschritten ist, sind in Südeuropa so gut wie alle Haushalte mit Mobiltelefonen ausgerüstet. Um nun eine europäische Lösung anbieten zu können, muss man im Gegensatz zu den USA auf jeden Fall auch einen Zugang via Mobiltelefon zu den Informationen, Produkten und Dienstleistungen anbieten. Darüber hinaus müssen alle Informationen in die verschiedenen Sprachen übersetzt werden. Ein Italiener kann keine norwegische Website benutzen und auch auf einer englischen Website werden sich Tschechen nicht unbedingt »zu Hause« fühlen.
Communities haben einen weiteren entscheidenden Vorteil: Sie erwecken selbst die einfachsten Websites zum Leben, dadurch dass die Mitglieder selbst neue Mitteilungen und Nachrichten auf die Website bringen. Die Mitglieder können sicher sein, dass beim nächsten Mal, wenn sie die Website besuchen, etwas Neues vorzufinden ist. Es gibt nichts Langweiligeres als eine Website, deren Inhalte sich nie ändern. Durch ihre Einbeziehung erhalten die Mitglieder zum einen die Möglichkeit, die Site mitzugestalten, zum anderen erscheint die Site viel dynamischer und übt eine größere Anziehungskraft auf neue Mitglieder aus. Sowohl die Anbieter als auch die Teilnehmer haben dadurch einen Mehrwert.
Auch wenn dieses Buch hauptsächlich auf amerikanische Websites und Communities eingeht, sollten europäische Community-Manager dieses Buch gelesen haben. Denn es bietet eine Reihe von sehr wertvollen Informationen, die man hervorragend im eigenen Unternehmen einsetzen kann. Alle, die im Internet eine Community aufbauen möchten, können von diesem Buch profitieren. Die Ideen, Konzepte und Technologien, die vorgestellt werden, setzen den Standard in der Branche und sind deshalb auch in Europa relevant. Um den Grundgedanken der Gemeinschaft zu verfolgen, sollten Europäische Community-Architekten sich allerdings immer noch zusätzliche Gedanken über die unterschiedlichen Kulturen, Mentalitäten und Sprachen diesseits des Atlantiks machen – das ist unsere besondere Stärke.
Stuttgart, im Dezember 2000
Daniel Amor
E-Solutions Architekt
Hewlett-Packard GmbH
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