Vorwort
E-Business im Jahre 2004 ist lebendiger denn je! Wenn Sie in die Medien schauen oder das allgemeine Stimmungsbild betrachten, oder wenn Sie irgendjemanden nach seiner Meinung über E-Business fragen, wird Ihnen vermutlich ein völlig anderes Bild entgegenschlagen: Die E-Mania ist vorbei, die Hoffnungen sind den Dot.com-Tod gestorben, der Hype ist in das Tal der Tränen abgerutscht!
Eine krude These also? Ist die Existenz dieses Buches nur auf die Sturheit eines unverbesserlichen Optimisten zurückzuführen, oder auf die Blindheit eines Verlages, der die Zeichen der Zeit komplett verschlafen hat? Darf man heute überhaupt noch ein Buch über E-Business schreiben?
Darauf werde ich nicht eingehen, denn ich empfinde überhaupt keinen Rechtfertigungsdruck. Ich stecke jeden Tag bis über die Ohren in E-Business-Projekten, sehe, dass immer mehr Firmen auf Internet-Technologien setzen und weiß, dass das E-Business jetzt erst so richtig anfängt.
Internettechnologien werden besonders wichtig in Zeiten lahmender Konjunktur, in Zeiten wie heute also, wenn sich die Unternehmen nicht mehr im Sog des Aufschwungs mitziehen lassen können, wenn der Kostendruck und der Erfolgsdruck kräftig steigen, wenn die Verfechter von Effizienz und Effektivität mehr Macht bekommen und die Prozesse im Unternehmen verändern. Um in solchen Zeiten trotzdem erfolgreich zu sein, müssen die Kosten gesenkt und die Prozesse beschleunigt werden. Dies kann aber ohne den Einsatz moderner Informationstechnologien kaum mehr in ausreichendem Maße erreicht werden. Sicher, eine reine Prozessoptimierung, ein Business Process Reengineering, eine Balanced Scorecard usw., das bringt in vielen Fällen bessere Ergebnisse, aber ob das dauerhaft ausreichend ist, darf bezweifelt werden.
Jede Firma ist heute Teil eines Ökosystems, das aus Kunden, Partnern, Lieferanten, Investoren, Regierungen und anderen Behörden sowie aus Konkurrenten besteht. Die Vorsilbe "öko" stammt aus dem Griechischen (oikos) und bedeutet "Haus, Haushaltung, Wirtschaft". Wenn etwas "öko" ist, klingt das heute immer nach Umweltschutz. Die Ökologie ist die Lehre von den Wechselbeziehungen zwischen Organismen und ihrer Umwelt. Nehmen wir diesen gesellschaftlichen Einfluss auf die Sprache einfach auf und stellen fest, dass das Ökosystem eines Unternehmens die Umwelt des Unternehmens plus das Unternehmen selbst ist, und dass der Begriff die vielfältigen Wechselbeziehungen untereinander mit einschließt.
Und diese Wechselbeziehungen, die Einflüsse und Bedingungen, die in beide Richtungen wirken, sind der entscheidende Punkt. Alles, was ein Unternehmen tut oder unterlässt, hat Auswirkungen auf sein Ökosystem. Und umgekehrt. Firmen können durch die Globalisierung, durch die Vernetzungen der Weltwirtschaft und durch die alles miteinander verbindende Kraft des Internets nicht mehr autark denken und handeln, sondern nur im Verbund. Manager und Führungskräfte müssen lernen, in Systemen zu denken, statt in einfachen, linearen Kausalketten.
Die starken Abhängigkeiten innerhalb des Ökosystems eines Unternehmens verlangen, dass die Informationen und Prozesse so stark wie möglich integriert werden. Dies ist aber nicht nur eine technische Frage, sondern vor allem eine Frage des Vertrauens. Denn Integration bedeutet auch, Informationen miteinander zu teilen und Pläne einander offen zu legen.
Dies erfordert von den Managern eine Grundhaltung, die offen ist für die Bedürfnisse des gesamten Ökosystems, Ihres kompletten Wirkungskreises, der über die Grenzen des Unternehmens hinausreicht. Bei vielen Entscheidern muss sich die Haltung und das Denken erst noch ändern, um der Tragweite des Wandels gerecht zu werden. E-Business steht im Zentrum des Wandels. Nicht nur die Anforderungen der Wirtschaft erfordern E-Business in den Unternehmen. Auch umgekehrt: E-Business in den Unternehmen verändert die Wirtschaft. Um mithilfe von E-Business das Unternehmen gemäß den Anforderungen des Ökosystems umbauen zu können, gab es in den letzten Jahren verschiedene Initiativen, die sich leicht unter den Kürzeln B2C, B2B, B2G und B2E zusammenfassen lassen - je nachdem, zwischen welchen Parteien Interaktionen stattfinden. Unternehmen gründeten verschiedene Abteilungen, Projekte oder Portale, die sich mit Kunden, Lieferanten und Partnern, den Behörden und den Mitarbeitern befassten. Was 2004 ganz klar geworden ist: Diese vier Bereiche gehören zusammen, sie sind Teil eines Unternehmens. Ohne sie kann es nicht erfolgreich sein. Diese vier Bereiche konstituieren das Ökosystem, in dem sich ein Unternehmen bewegt.
Innerhalb des Ökosystem interagieren fünf wichtige Komponenten: Menschen, Daten, Prozesse, Produkte und Technologie. Diese fünf Faktoren machen eine erfolgreiche Firma aus. Mit E-Business dreht man an allen fünf Komponenten und nicht nur an der Technologie. Ein rein technologiezentriertes Verständnis von IT-Projekten ist überholt. E-Business ist multidisziplinär, und die Projekte sind wegen ihres Umfangs oft nicht einfach zu kontrollieren, denn sie haben immer Auswirkungen auf das gesamte Ökosystem.
Baut ein Hersteller beispielsweise ein Endkundenportal, um die traditionellen Vertriebswege zu umgehen, benötigt er zuerst neue Geschäftsprozesse, die von neuen Mitarbeitern durchgeführt werden können. Die Produkte müssen angepasst werden, und neue Daten werden für diese Produkte benötigt. Außerdem wird der Aufbau der Kundendaten notwendig. All dies zusammen gibt den notwendigen Input für die neue technologische Plattform. E-Business verändert zuerst das Business, dann die IT.
Dieser Trend wird sich weiter verstärken. Daher sollten Unternehmen E-Business nicht nur zur Kostensenkung oder zur Gewinnmaximierung einsetzen, sondern es auch als Change-Management-Werkzeug verstehen. E-Business versetzt sie in die Lage, ihr Ökosystem umbauen zu können, sodass es langfristig Bestand haben kann.
Wer sollte dieses Buch lesen?
Die Kernzielgruppe besteht aus den Entscheidern im E-Business-Umfeld. Die sind typischerweise die Leiter der IT oder die Chief Information Officers (CIO). Ich habe das Buch so konzipiert, dass es auch für Leser ohne jede technische Vorbildung nützlich ist. Gerade Manager mit Entscheidungskompetenz haben oft nicht die Zeit für die Technischen Details, sondern beschäftigen sich eher mit den zugrunde liegenden Konzepten. Deshalb dürften auch Abteilungsleiter aus den Bereichen Marketing, Vertrieb, Logistik, Produktion, Einkauf, F&E, HR und Finanzen auf ihre Kosten kommen. Außerdem können Projektmanager und alle Projektbeteiligten, die mit E-Business zu tun haben, von diesem Werk profitieren.
Das Buch ist auch interessant für Mitarbeiter von Dienstleistern und Technologielieferanten sowie für Berater und Analysten, die regelmäßig über neue Trends informiert werden wollen oder die noch in der Lernphase sind und die Grundlagen verstehen möchten.
Ferner ist das Buch gut geeignet für Studenten und Professoren an den Universitäten, die sich in den Fächern Informatik, Mediengestaltung und Betriebswirtschaft sehr stark mit dem Thema E-Business auseinander setzen.
Das Buch liefert einen breiten und aktuellen Überblick und hilft Ihnen, qualifizierte Entscheidungen beim Thema E-Business zu treffen. Diese Entscheidungen sind aufgrund der Komplexität des Themas und des schnellen technologischen Wandels oft sehr schwierig, jedoch gleichzeitig von großer wirtschaftlicher Tragweite. Das Buch ist daher für alle Leser interessant, die sich nicht in Einzelheiten vertiefen können oder wollen und zu wenig Zeit haben, um sich durch Werke eher akademischen Stils durchzuarbeiten.
Das Buch soll es dem Leser ermöglichen, zwischen den möglichen Geschäftsmodellen und Technologien zu unterscheiden, sie zu verstehen und sie effektiv einzusetzen, indem sie die richtigen Entscheidungen treffen. Sollten Sie also beim Lesen an mancher Stelle plötzlich denken "Halt! Da kann man doch noch viel mehr dazu sagen!", dann haben Sie vermutlich vollkommen Recht. Zu allen Themen, die in diesem Buch angerissen werden, ließe sich sehr viel mehr schreiben, ich könnte locker ein Buch mit 5 000 Seiten über E-Business schreiben. Nur, wer würde das lesen wollen? Zum Konzept des Buches gehört es, die Konzepte nur genau so tief anzuschneiden, dass ein umfassender Überblick möglich wird.
Wie ist das Buch organisiert?
Das Buch ist als Jahrbuch konzipiert. Ziel des Buches ist es, Entscheidern einen aktuellen, ausführlichen und kompletten Überblick über Geschäftsmodelle und Technologien im E-Business zu geben. Das Jahrbuch-Format erlaubt es, stets aktuell zu sein und kompaktes Hintergrundwissen zu liefern.
Das Buch gliedert sich in thematische Schwerpunkte. Die ersten vier Themen bleiben jedes Jahr dieselben, nur der Inhalt entwickelt sich weiter. Die vier Themen sind:
- Endkundenportale (Business-to-Consumer, B2C)
- Firmen-Ökosysteme (Business-to-Business, B2B)
- Mitarbeiterportale (Business-to-Employee, B2E)
- E-Government-Portale (Business-to-Government und Consumer-to- Government, B2G und C2G)
Portale sind hier im weiteren Sinne zu verstehen. Damit sind nicht nur traditionelle Webportale gemeint. Ich benutze das Wort im originären Sinne und meine mit Portalen Zugangstore zu Informationen und Prozessen. Diese Zugänge können automatisiert z.B. über Java und XML ablaufen, ohne dass eine HTML-Seite für das Internet erzeugt wird.
Für jeden dieser vier Themenschwerpunkte oder Teile gibt es verschiedene Aspekte, die von großer Bedeutung sind. Die Gliederung der Teile folgt diesen Aspekten:
- Konzepte und Prozesse
- Technologien
- Projekte
- Best Practice
An erster Stelle stehen also jeweils Kapitel, die die Grund legenden Geschäftsmodelle und Prozesse erläutern. Die Konzepte werden jeweils erst einmal unabhängig von der aktuellen Entwicklung dargestellt. Wie sich herausgestellt hat, ändert sich nämlich an den Grundlagen im Laufe der Zeit relativ wenig. Zuerst muss man das Geschäftsmodell verstehen, um erfolgreich sein zu können. Oft scheitern beispielsweise Firmen, die in der Wertschöpfungskette am Anfang stehen, im Umgang mit Endkunden, weil sie keine Erfahrung mit den entsprechenden Prozessen haben. Da hilft dann auch die Technologie nicht mehr weiter.
Das jeweils nächste Kapitel beschäftigt sich mit der darunter liegenden Technologie und setzt diese in Kontext. Leider gibt es immer noch zu viele Firmen, die zuerst die Technologie-Entscheidung treffen, bevor sie sich um das Geschäftsmodell kümmern. Auch wenn die Konkurrenz Linux, Microsoft, Java, Handwärmer, oder Thüringer Bratwürste hat oder ein Berater darauf besteht, dass man die auch haben muss, sollten Sie sich vorher gründlich Gedanken machen, was die Technologien können und wozu man sie überhaupt braucht.
Das dritte Kapitel in jedem dieser vier horizontalen Themen gibt einen Überblick darüber, worauf man bei der Projektarbeit achten muss. Es zeigt, welche Abteilungen an dem Projekt beteiligt werden sollen und welche Systeme integriert werden müssen. Ferner geht es darum, wie man mit rechtlichen Fragen im Projekt umgeht und welche Sicherheitsmaßnahmen man treffen muss, um das Projekt zum Erfolg zu bringen.
Das vierte Kapitel zu jedem Thema zeigt dann Best Practices aus dem jeweiligen Themengebiet. Ich habe versucht so weit es geht Beispiele aus dem deutschsprachigen Raum zu nehmen. Bei den Beispielen habe ich versucht, mich auf ein bestimmtes Teilthema zu konzentrieren, das in den vorangegangenen Kapiteln etwas ausführlicher besprochen wurde.
Neben diesen vier großen Teilen, die jedes Jahr Bestandteil dieses Buches sein werden, gibt es einen fünften Teil, der sich mit Trendthemen beschäftigt. Diese Themen werden jedes Jahr andere sein. Für 2004 habe ich das eher technische Thema Wireless LAN (WLAN) und das eher businesslastige Thema Paid Content ausgewählt, weil diese beiden Themen im Jahre 2004 eine entscheidende Rolle spielen werden. Es gibt immer mehr Anbieter von kabellosen Geräten, die über WLAN angebunden werden. Und immer mehr Anbieter suchen nach Möglichkeiten, ihre Inhalte mit Gewinn zu verkaufen. Die beiden Themen jeweils für sich, versprechen einiges an Hype zu erzeugen, aber der größte Hype wird wohl entstehen, wenn man beide Themen zusammen betrachtet: In der Kombination von mobilen Geräten und bezahlten Inhalten kommt man quasi auf natürliche Weise zu Location-Based Services, d.h. Dienstleistungen und Informationen, die an einem bestimmten Ort von Nutzen sind. Da ist Musik drin ...